NIRS zur Identifikation komplexer Moleküle

Bei der NIR-Spektroskopie spielt die elektromagnetische Strahlung innerhalb des Spektralbereichs von 760 – 2500 nm eine Rolle, also Wellenlängen oberhalb des sichtbaren Bereichs des Lichtes. Interagiert die elektromagnetische Strahlung dieses Bereiches mit NIR-aktiven Substanzen (Molekülen), d. h. mit Substanzen, welche ein permanentes elektrisches Dipolmoment aufweisen, kommt es in bestimmten Molekülbindungen zur Anregung von Molekülschwingungen.

Verschiedene funktionelle Gruppen und unterschiedliche Bindungstypen von Molekülen weisen charakteristische Schwingungen im nahinfraroten Bereich auf. Dazu zählen beispielweise C-O (Alkohole, Ether, Säuren, Ester), N-H (Amine, Amide), NO2 (Nitrogruppe), C=C (Aromaten, Alkene), C=O (Aldehyde, Ketone, Säuren, Ester).

Das geläufigste Modell zur Veranschaulichung der NIR-Spektroskopie beschreibt die Vorgänge als vier grundlegende Schwingungsarten:  

  • Normalschwingungen entlang der Bindungsachse eines Moleküls (Valenzschwingungen)
  • Deformationsschwingungen, wobei Deformationsschwingungen je nach Richtung der Schwingung weiter in
    • Rockingschwingungen bzw.
    • Wagging- und Twistingschwingungen

unterschieden werden.

Die NIR-Spektroskopie nutzt einen besonderen Effekt: im Wellenlängenbereich der NIR-Spektroskopie können sogenannte Ober- und Kombinationsschwingungen der Grundschwingungen beobachtet werden. Die kurzwellige, energiereiche NIR-Strahlung hat in diesem Punkt im Gegensatz zur Strahlung im mittleren infraroten (MIR) Bereich einen entscheidenden Vorteil, da hier nur die Grundschwingungen zu beobachten sind. Zu Oberschwingungen kann es durch die gleichzeitige Aufnahme mehrerer Lichtquanten kommen. Kombinationsschwingungen treten auf, wenn ein Lichtquant zwei verschiedene Schwingungen gleichzeitig anregt.
Bei der Anregung der Schwingungen höherer Ordnung wird vergleichsweise wenig Energie aufgenommen. Daraus ergibt sich die viel größere Eindringtiefe des nahinfraroten Lichtes im Vergleich zum mittleren infraroten Bereich, wo nur wenige Mikrometer möglich sind. Eine Probenvorbebehandlung kann dadurch meist entfallen. Die zusätzlichen Schwingungsmodi führen zu weiteren Banden, welche den Informationsgehalt der Spektren erhöhen. NIR-Spektren enthalten Überlagerungen vieler komplexer Banden höherer Ordnung und sind in der Auswertung viel komplizierter als beispielsweise MIR-Spektren. Der vom Molekül absorbierte Strahlungsanteil ist dabei für dessen Struktur charakteristisch. Die entsprechenden Absorptionsbanden prägen sich in ganz bestimmten Bereichen des NIR-Spektrums aus und können zur Identifizierung des Moleküls verwendet werden.

Eine große Anzahl organischer Substanzen erfüllen die Voraussetzungen zur NIR-spektroskopischen Analyse. Es existieren jedoch auch Substanzen, welche nicht NIR-aktiv sind. Hierzu zählen beispielsweise anorganische Salze, welche aufgrund ihrer starren, kristallinen Gitterstruktur nicht durch Energie im Wellenbereich der NIR-Strahlung zur Schwingung angeregt werden können.

In der Praxis wird die NIR-Strahlung auf die Probensubstanz aufgebracht und nach Reflexion oder Transmission durch die Probe durch ein dispersives Element oder Monochromator nach Wellenlängen aufgespalten. Die erhaltenen Bestandteile des Lichtes werden auf einen photosensitiven Detektor gelenkt, welcher die Photonendichte unter Verwendung des photoelektrischen Effektes in Abhängigkeit zum Wellenlängenintervall misst. Die so erfassten Lichtintensitäten werden über die Wellenlängenachse aufgetragen und als Intensitätsspektrum der Probe bezeichnet. Das Absorbanzspektrum der Probe erhält man (als Logarithmierte) aus dem Verhältnis der Eingangsstrahlung zum Intensitätsspektrum der Probe. Die Absorbanzspektren stellen ein komplexes Zusammenspiel von Absorptions-, Reflexions- und Streueffekten dar, weshalb eine umfangreiche Prozessierung der Daten erforderlich ist, um die chemische Information zugänglich zu machen.

Die extrahierten Absorptionsspektren, welche im Idealfall ausschließlich die chemische Information beinhalten, können nun zur Identifizierung der gemessenen Substanz herangezogen werden. Aufgrund der Beschaffenheit der vorliegenden Absorbanzspektren mit oftmals breiten Banden werden chemometrische Analyseverfahren verwendet, welche mittels ausgeklügelter mathematischer und statistischer Methoden die Identifizierung der Substanz ermöglichen.

Klare Vorteile der NIR-spektroskopischen Analyse sind:

  • hohe Eindringtiefe aufgrund verhältnismäßig niedriger Absorptionskoeffizienten organischer Substanzen im NIR
  • keine Probenvorbereitung
  • schnell und automatisierbar, reproduzierbar, einfach, zuverlässig, berührungs- und zerstörungsfrei
  • qualitative und quantitative Bestimmung möglich
  • Messungen in Transmission und Reflexion

Einsatz in Industrie und Forschung: chemische, pharmazeutische und lebensmitteltechnische Qualitätsanalysen

  • Wasser-, Fett- und Eiweißgehalt prüfen
  • Landwirtschaft (Bestimmung H2O-Gehalt von landwirtschaftlichen Produkten)
  • Pharmazie (NH- und CH-Bindungen, d.h. Proteine und Fette)
  • Qualitätskontrolle am fertigen Produkt
  • Kunststoffe (COOH-Gruppen) identifizieren
  • Biogasanlagen (Quantitäten von Inhaltsstoffen überwachen)